Verlag Textwerkstatt

Presseschau - Oltner Tagblatt MLZ, 11. Oktober 2007

Aufflackern von Ängsten

2. Oltner Buchmesse – Madeleine Schüpfer veröffentlicht Kurzgeschichten

Von erstaunlichen Begebenheiten, die eine überraschende Wendung nehmen, erzählt die Oltner Autorin und Kulturjournalistin Madeleine Schüpfer in ihrem Kurzgeschichtenband «Das Porträt». Eine Sammlung sensibler Geschichten, die um Ängste kreisen, die wir eigentlich nicht wahrhaben wollen. Madeleine Schüpfer ist mit ihrem neuen Buch am Solothurner Abend der Buchmesse Olten und Ende Oktober in der Buchhandlung Schreiber präsent.

Angst ist ein diffuses Gefühl, das sich nicht einordnen lässt. Ängste flackern unerwartet auf, sind unerwünscht, passen nicht in unser rationales Denken. Und doch lassen sie sich nicht einfach unter den Teppich kehren.

In klarer, schlichter Sprache erzählt die Autorin Madeleine Schüpfer Geschichten, in denen die Figuren von ihren Ängsten eingeholt werden. Der Angst vor Einsamkeit, aber auch vor zu viel Nähe. Der Angst vor dem Alter und physischer Schwäche. Oder der Angst, verletzt zu werden.

In den zehn Geschichten, die im Oltner Verlag Textwerkstatt unter dem Titel «Das Porträt» erschienen sind, hat die Schreibende eine Erzählatmosphäre voller spannungsvoller Momente geschaffen. Mit einem grossen Mass an Empathie schildert sie das Erleben unterschiedlicher Figuren, die von ihren Urängsten eingeholt werden.

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Von Urängsten, wie sie oft in der Welt des Traumes zum Tragen kommen. So bewegen sich viele der Geschichten von Madeleine Schüpfer im Grenzbereich zwischen Traum und Wirklichkeit. Wie die Erzählung mit dem Titel «Der gelbe Hund»: Diesen Text situiert die Autorin in einer stimmungsvollen Vollmondnacht, durch welche eine junge, dynamische 28-Jährige beschwingt ihren Heimweg antritt. Als ihr ein seltsamer gelber Hund durch die Gassen folgt, der an ein unheimliches Fabelwesen erinnert, wird die junge Frau von beklemmenden Gedanken eingeholt. Gedanken, die sie weiterspinnt, bis der gelbe Hund am Ende zum Sinnbild wird für die Angst vor der eigenen Verletzlichkeit.

Von Sehnsüchten und Ängsten

Um nicht den Anschein von Verletzlichkeit zu erwecken, hat sich auch Franziska, die Hauptfigur in der Geschichte «Über der Schattenlinie» eine harte Schale zugelegt. Franziska, «ein junges Mädchen, dem die Jugend gar nichts nützte, da nichts, aber auch gar nichts an ihm schön, frisch oder anziehend war», wie die Autorin schreibt. Statt Liebe sucht sich Franziska Begegnungen auf Zeit. Statt Zärtlichkeit Berührungen, die keine sind. Nur im Tanz spürt sie sich selbst. Erlebt Sekunden, Minuten, in denen es sich lohnt, zu leben.

Mit Feingefühl zeichnet die Autorin das Stimmungsbild dieser Figur. Skizziert ihre Sehnsüchte und Ängste, lässt am Ende aber auch ihre innere Stärke aufblitzen.

Immer wieder setzt sich die Schreibende auch mit der Frage auseinander, wie stark unser Selbstbild durch andere geprägt wird. Im Text «Pünktlich um sieben» schrumpft die Bewerberin im Vorstellungsgespräch mit einem arroganten Chef zu einer ältlichen, kurzsichtigen, geschiedenen Hausfrau mit mangelnder Berufserfahrung zusammen. Stunden später fällt das aufgeplusterte Ego eben dieses Vorgesetzten im Angesicht einer herablassenden «Bardame» wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Auch in der Titelgeschichte «Das Porträt» treffen Selbst- und Fremdbild schmerzlich aufeinander. Die Sitzung, in welcher sich die Ich-Erzählerin von einem Maler porträtieren lässt, wird zur eigentlichen Tortur. In der Auseinandersetzung mit dem eigenen Bildnis kommt ihre Zerrissenheit zum Ausdruck. Das ständige Scheitern am Wunsch, der eigenen Identität auf die Spur zu kommen, manifestiert sich an der Fremdheit, welche die Porträtierte dem Bild gegenüber empfindet.

Texte leben vom Dialog der Personen

Die Texte von Madeleine Schüpfer leben vom Dialog. Im Dialog mit den anderen erkunden sich die Protagonistinnen und Protagonisten selbst. Ein steter Balanceakt im labilen Gleichgewicht von Selbstsicherheit und Selbstzweifel.

Wie leicht sich der Mensch verunsichern lässt, wenn sein Handeln hinterfragt wird, kommt in der vielleicht kurzweiligsten Geschichte des Bändchens mit dem Titel «Am Schalter» zum Ausdruck. «Sind Sie sicher, dass Sie nach Uster fahren wollen?» Aus dieser Frage des SBB-Beamten am Billett-Schalter entwickelt sich ein geradezu grotesker Dialog, der fast Hohler'sche Dimensionen annimmt.

Unabhängig von Zeit und Raum

Einzelne Geschichten von Madeleine Schüpfer haben beinahe gleichnishaften Charakter. Funktionieren unabhängig von Zeit und Raum. Mit Figuren, die entrückt, ja fast surreal wirken. Und doch die Realität auf ihre ganz eigenwillige Weise spiegeln.

So ist der «Mieter» in der Geschichte «Die Wohnung» ein ausgesucht höflich Schweigender, der seine Umwelt durch sein eigenartiges Wesen und seinen Hang zu leisem Spott irritiert. Traumwandlerisch folgt er einer jungen Frau. Die zwei geniessen einen Moment intensiver Nähe ohne Bedingungen und gehen so unvermittelt auseinander wie sie zusammengekommen sind.

In ihren Geschichten gelingt es Madeleine Schüpfer, sich sachte an die Figuren heranzutasten. Mit Feingefühl schildert sie deren Auseinandersetzung mit Ängsten, die sich weder erklären noch abschütteln lassen.

 

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